Anmerkung prūsai:
Das Nachwort zur Sprache der Prußen entstammt dem Gedichtsband
von Heinz Georg Podehl von 1984, „Die prußischen
Gedichte – Stos prūsiskos grīmos“.
(Quelle: ebendort)
NACHWORT
Die Prußen hatten ab dem Jahre 1231 keine Gelegenheit
mehr, ihre Eigenständigkeit als Volk zu erhalten, ihre
Sprache zu vervollkommnen, und Kultur und religiöses Brauchtum
weiter zu entwickeln oder zu ändern. Alles Prußische,
zeitweise streng verboten, ging, von wenigen Resten abgesehen,
verloren.
Es gibt auch keine schriftlichen Aufzeichnungen der Prußen
über sich selber. Man sagt, die Prußen hätten
keine Schriftsprache besessen. Das Gegenteil dieser Feststellung
ist nicht zu beweisen. Doch zeigt der dreiundfünfzig Jahre
währende Krieg des Deutschen Ordens gegen die Prußen
und die Verfolgung in ihrem eigenen Land, die Verbote, Sprache,
Sitten und Gebräuche betreffend, eine andere Seite auf.
Nach der Reformation, als zur Rettung der prußischen Sprache
beinahe alles zu spät war, hat der erste Herzog in Preußen
— ohne an die Kultur der Prußen zu denken —
Übersetzungen des Katechismus in Auftrag gegeben. Denn
das Volk auf dem Lande konnte in den Kirchen mit der deutschen
Sprache nicht ausreichend angesprochen werden.
Neben einer Menge früher Verschreibungen des Ordens, in
denen Ortsbeschreibungen, Namen und anderes über einzelne
Prußen Erwähnungen finden, und die oben genannten
Übersetzungen sind geblieben. Erst in späteren Zeiten
wurden über diese Dokumente wissenschaftliche Arbeiten
verfaßt, die Geschichte und Sprache der Prußen erforschend
und, wie ich meine, damit auch zu erhalten.
Auf diesem Gebiet haben sich besonders bemüht, um nur einige
zu nennen: Bezzenberger, Endzelins, Frischbier, Gerullis, Gimbutas,
Hartknoch, Krollmann, Lewy, Lullies, Mechow, Nesselmann, Pierson,
Praetorius, Schmalstieg, Schreiber, Trautmann, Usener, Vater
und Voigt. Heraushebend verweise ich auf die Arbeiten von Kilian
„Zu Herkunft und Sprache der Prußen" und H.
Gerlach „Nur der Name blieb".
Im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts hat die Fachwissenschaft
die Reste der prußischen Sprache erschöpfend behandelt.
Bisher wurden aber die fehlenden Wörter nicht ergänzt.
Niemand fühlte sich berufen, wohl nicht nur aus wissenschaftlichen
Überlegungen, diese Ergänzungen vorzunehmen.
Nun hat Günther Kraft Skalwynas, Berlin, — Mitarbeiter
des Prußen-Freundeskreises TOLKEMITA in Dieburg —
sich ein Herz genommen und ein Vocabularium Neoprussicum mit
Grammatik, mit ergänzten Formen, Neubildungen und Rekonstruktionen
erstellt. Er hat die prußische Sprache so dargestellt,
wie sie heute vielleicht gesprochen würde, wenn ihre Weiterentwicklung
nicht aufgehalten worden wäre. Denn das Prußische
war noch um 1231, wie andere Sprachen auch, in der Wandlung
begriffen.
Diese bisher ungedruckte Arbeit — für den Arbeitskreis
TOLKEMITA erstellt — bildet die Grundlage für die
Übersetzungen meiner Gedichte in diesem Buch. An dieser
Stelle möchte der Autor seinen herzlichen Dank an Günther
Kraft Skalwynas sagen, für die hilfreiche Korrektur bei
der prußischen Übersetzung.
Niemand kann heute diese „verlorene" Sprache zu einer
Volkssprache machen, dafür gibt es keine Partner und auch
andere Schwierigkeiten halten davon ab. Aber für den großen
Kreis von Liebhabern, besonders den bewußten Nachkommen
der Prußen, ist sie es wert, erweckt zu werden.
Nachdem Ostpreußen „vergangen worden ist",
ähnlich wie damals das Prußenland, ist es an der
Zeit, sich mit den Prußen dringlicher zu beschäftigen.
Zumal sie in deutschen Schul- und Geschichtsbüchern fast
gar keine Rolle spielen, obwohl die Prußen zu einem nicht
geringen Teil zu den Vätern des Deutschen Volkes zu rechnen
sind. Aus einem Lande mit ca. 39 839 km2 , größer
als beispielsweise die Niederlande oder Israel.
Aus all diesen Überlegungen sind meine Gedichte und auch
„Prußische Geschichten" und „Prußisches
Ostpreußen" entstanden, die prußisches Leben
und Denken weiten Leserkreisen näher bringen könnten
als es wissenschaftliche Arbeiten vermögen. Einiges davon
ist Phantasie, diktiert von Ehrfurcht und Liebe zu den Vätern,
um Vergangenheit und Verbindungen deutlicher machen zu können,
ins rechte Licht zu stellen, um den Sockel für ein Denkmal
zu setzen.
Sicherlich sind aus ähnlichen Erkenntnissen einige Gedichte
und Erzählungen — und Romane, die einsame Ausnahmen
sind — auch von anderen Autoren geschrieben worden, wie
von Johannes Bobrowski, Paul Fechter, Agnes Miegel, Hermann
Sudermann, Charlotte Wüstendörfer und William Pierson
mit seinen „Bildern aus Preußens Vorzeit".
Hier werden nun in Abzählversen, Sprüchen, Liedern
und Gebeten Götter, gute und böse Geister, Priester
und Seher dargestellt.
Als Ostpreuße gleichzeitig Pruße zu sein, mit welchem
Namen auch immer, entspricht einer inneren Überzeugung
und ist weniger eine Frage der Nationalität.
H. G. Podehl